Über Sonnenbrillen und S-Bahnen

Anekdoten und Geschichten über Erlebnisse an Bahnhöfen gibt es wie Nazis in Ostdeutschland.
Und die Folgende wird in dieser Reihe wahrscheinlich keine Ausnahme machen.
Doch die aktuelle Wetterlage veranlasste mich, euch als Leser dieses Blogs auf einen unangenehmen Zustand dieser Gesellschaft aufmerksam zumachen.

Als täglicher Kunde der Deutschen Bahn AG verbringe ich werktags im Durchschnitt eine halbe Stunde an den teuflischen Gleisen des Hauptbahnhofs Hannover.
Gehen wir also zu erst einmal auf die äußerlichen Einflüsse der momentanen Wetterlage ein.
Es ist Frühling und die Hormone sprießen hoch. Man trägt Sonnenbrillen, je nach Volumen des Schädels kleiner oder größer, und positioniert sich in einer lässigen Haltung am Bahnsteig.
Vorerst sei vielleicht noch gesagt, dass ich alle folgenden Dinge als männliche Person feststellen konnte. Wenn eine Person weiblichen Geschlechts mir eine andere Sichtweise darlegen möchte, so kann dies gerne per Mail getan werden.
Aber nun gut, wir waren beim Frühling, den Sonnenbrillen und den Bahnsteigen.
Als Single habe ich persönlich immer den Zwang, andere Frauen an zugucken.
Versteht mich nicht falsch. Nicht im Sinne von Spannen oder penetranten Blicken horizontal des Brustkorbs. Nein. Eine gute und handelsübliche Sonnenbrille gibt einem jederzeit die Möglichkeit, einen Rundum Blick zu starten und zu schauen, wer sich neben mir alles einfindet, um auf die Bahn zu warten.
Einen großen Vorteil genießen hierbei die Raucher unter uns. Die Frage nach Feuer, oder bei einem netten Blick das schnorren einer Kippe, sind perfekte Ausgangssituationen für einen klassischen und guten Flirt.
Gehen wir als vom besten Falle aus und stellen uns vor, wie wir mit einer Zigarette und einem Kaffee, die Augen per Sonnenbrille verdeckt, auf dem Gleis stehen.
Die Gedanken schweifen im gleichmäßigen Takt der Augen, und ehe man sich versieht, dringt eine beruhigende und zarte Stimme heran.
„Hättest du vielleicht Feuer für mich“
Der Kopf dreht sich, man schaut zur Seite. JACKPOT!
Somit wäre Phase 1 eines Flirtes getan, und die Rennstrecke freigegeben.
Ab hier heißt es, zurückhaltend bleiben, und auf keinen Falle die Brille abnehmen.
Nach einem locker leichten „aber klar doch“ wird in eleganter Handkombination (nicht den Kaffee verschütten) das Feuerzeug aus der Tasche geholt.
Wichtig hierbei: Niemals das Feuerzeug anmachen. Zuvorkommende und emanzipierte Menschen geben dem Flirtpartner das Feuerzeug in völliger Sicherheit, es heile und sicher zurückzuerhalten.
Zudem sei bereits im Vorfeld stets darauf zu achten, beim Kiosk oder der Tankstelle immer das billigste der billigsten Feuerzeuge zu kaufen. Sternzeichen oder Firmennamen irritieren nur und zeugen nicht von Stil.
Haben wir nun also das Ritual der Feuerzeug Übergabe gemeistert, liegt es am Geber, den nächsten Schritt zu tun. Dies spielt sich in der Reihenfolge eines Überfalls oder einer Schlägerei ab. Die gegenüberstehen Person darf auf keinen Fall abweichen und entkommen.
Hier haben die Spontanen und Lustigen unter uns auf jeden Fall die bessere Karte gezogen.
Eine lustig verzogene Mimik und ein halbwegs lockerer Spruch sichern uns die nächsten 5 Minuten. Eine Konversation über das Wetter oder die langen Wartezeiten ist hier so angebracht wie Cheeseburger auf einem Veganer-Treffen.
Hier zählt einzig und allein Kreativität und Stil. Da wir immer noch den Vorteil der Sonnenbrille genießen, genügt jede Minute ein Blick auf die Uhr. Denn Ja, auch ein Flirt sollte einen gewissen zeitlichen Rahmen einhalten.
Spätestens eine Minute vor dem Eintreffen der Bahn geht es in die erste Stufe der heißen Phase: Die gemeinsamen Sitzplätze in der Bahn.

So viel zu den allgemeinen Verhaltenstipps in solch einer Situation.
Doch im Falle des heutigen Erlebnis kommt nun der Punkt, welcher eigentlicher wesentlicher Faktor dieses Textes ist und sich für mich persönlich als seelischer Totschläger entpuppte.
Was tun, wenn die Person einen Rolly, einen Koffer oder eine große Sporttasche mit sich trägt.
Lohnt sich der Flirt? Wohnt sie womöglich weit weit entfernt?
Nachdem ich mich auf dem Boden der Tatsachen wiederfand, entdeckte ich, dass es sich beim gemeinsamen Zug um einen Regionnalexpress handelte. Endhalt „Norddeich Mole“.
Während man sich als in gegenwärtiger Lage noch zu 75% im Flirt befindet, kommt in sekundenschnelle der nukleare Gedankentiefschlag.
Vielleicht wohnt sie dort. Vielleicht auch in Bremen. Lohnt sich all dies?
Ab dieser Stelle sollte ein jeder erkennen, welche Stärke und Sicherheit er sich selber zeigen kann. Ich kam mir vor wie auf einer Autobahn mit der Entscheidung, schnellstmöglich die nächste Ausfahrt zu nehmen, oder vielleicht den weiteren Verlauf der Strecke zu erkunden.
Und um noch einmal einen Nachruf an alle Hormonbrunnen zu senden:
In der Bahn wird die Sonnenbrille grundsätzlich abgenommen.
Und wenn euch die Sonne 50% eurer Sehkraft raubt, an dieser Stelle ist es Zeit, die Augen zu offenbaren und auf die Reaktionen des Flirtpartners zu warten.
Da ich aufgrund meiner Charakterschwäche bereits an dieser Stelle beim Flirt ausgestiegen war, konnte ich persönlich nur einen anderen Entschluss fassen.

In Zukunft werde ich zur Weiterfahrt nur noch S-Bahnen benutzen. Hier findet sich weitaus weniger Gepäck bei den Menschen. Zudem weiß ich , woran ich bin und kann mir sicher sein, dass mein Gegenüber nicht 200 Kilometer entfernt wohnt.

Ich denke, dass sie nun sauer auf mich ist.
Aber Baby, falls du das hier liest. Sei mir nicht böse. Auch von Norddeich Mole verkehren S-Bahnen. Und wenn ein lieber Kerl aus deiner Stadt vielleicht eines Tages dies hier liest und meine Tipps ernst nimmt, wirst du einen bessern Flirt als den unseren haben.
Lass deine Haare wie sie sind, deine Augen sind bezaubernd und steig auf ruhig auf rote Gauloises um.


Fazit:
Regionalexpresse sind die ultimativen Flirtkiller
Der Kaffee bei Lé Crobag schmeckt am besten und ist teuer.

Ich wünsche euch noch einen erholsamen und sonnigen Dienstag
Euer S-Bahn Fahrer



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